Anlass: Novellierung des Bundeswaldgesetzes, Kultur- und Naturerbe auch für die Zukunft nutzen
Die Novellierung des Bundeswaldgesetzes bietet die Chance, zukünftige Waldentwicklung, Förderung von Biodiversität und den Erhalt von Kultur- und Naturerbe im Wald in Einklang zu bringen.
Die Wälder in Deutschland werden neben ihrer Funktion für die Holzproduktion bis heute von der breiten Öffentlichkeit häufig als „Natur“ oder sogar als „Wildnis“ wahrgenommen. Dabei wird übersehen, dass sie seit Ende der letzten Eiszeit aufgrund der menschlichen Einflussnahme immer Kulturlandschaften waren, deren Vielfalt im Wesentlichen auf den wandelbaren Ansprüchen verschiedenster Gesellschaften an den Wald beruht. Sie vereinen also materielles und immaterielles Erbe des Menschen. Zum materiellen kulturellen Erbe gehören bestimmte Baumartenzusammensetzungen und verschiedene Waldbewirtschaftungsformen. In den Wäldern sind darüber hinaus Zeugnisse von Agrar-, Militär-, Religions-, Bergbau-, Siedlungs-, Jagd- oder Verkehrsgeschichte erhalten und können in Form von Gräben, Steinriegeln, Halden, Stollen oder Hohlwegen sichtbar sein. Mit dem immateriellen Erbe verbunden sind unter anderem das Wissen und Können in Bezug auf spezielle Ernte-, Lagerungs- und Transportmethoden sowie alte Rechtskonstrukte und soziale Traditionen im Umfeld des Waldes.
Das kulturelle Erbe ist ein wichtiger Faktor für die Identität, den Erholungs- und Erlebniswert des Waldes, aber auch für seinen Wert als Ort der Bildung und der Nutzung. Die Bedeutung von Relikten früherer menschlicher Eingriffe geht jedoch weit über kulturelle Aspekte hinaus. Historische Bewirtschaftungs- und Nutzungsformen und die genannten Hinterlassenschaften erhöhen den Strukturreichtum von Wäldern, erhöhen die Vielfalt in Zeit und Raum.
Sie können zur Kontinuität und zum Verbund von Lebensräumen beitragen und fördern die Biodiversität von Flora und Fauna:
Im Zusammenhang mit der Klimawandelanpassung können also historische Waldbewirtschaftungsformen, die zum Schutz der Wälder mit ihren vielfältigen Funktionen, des Klimas, der Biodiversität und des Erbes beitragen, im Rahmen der Gesetzgebung mit einer neuen Interpretation und Funktionalität versehen werden.
Denn die Waldkulturlandschaften bergen auch ein hohes und wissenschaftlich interessantes Potenzial nicht erforschten Kulturerbes. Siedlungsrelikte, Zeitzeugnisse der Proto- und Frühindustrien – vor allem des Rohstoffabbaus – und andere Relikte des menschlichen Lebens und Wirkens, lassen sich sehr häufig auf heutigen Waldstandorten, in Waldböden und im Bewuchs finden. Studien, wie unter anderem das aktuelle Gutachten über die Anpassung von Wäldern und Waldwirtschaft an den Klimawandel des Wissenschaftlichen Beirates für Waldpolitik beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (2021), zeigen die große Notwendigkeit nach einer vorausschauenden und aktiven Anpassung der Forstwirtschaft im Sinne eines Schutzes des kulturellen Erbes, denn Waldstandorte und Waldböden konservieren wichtiges kulturelles Erbe, die als Relikte früheren menschlichen Lebens und Arbeitens eine wertvolle und einzigartige Aussagekraft besitzen1.
Die Rahmenbedingungen für die Bewirtschaftung der Wälder haben sich in den letzten Jahrzehnten durch neue politische Präferenzen, ökonomischen Druck, moderne Forsttechnik, demographische Entwicklungen, und letztlich aufgrund aktueller ökologischer Herausforderungen, wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust, deutlich verändert. Das Kulturerbe im Wald, sei es erfasst oder nicht, ist durch die häufigeren klimabedingten Extremwetterereignisse wie Starkregen, Stürme, Trockenperioden und Kalamitäten besonders gefährdet.
Um einen dauerhaften und effizienten Schutz des noch vielfach unbekannten Kulturerbes im Wald zu ermöglichen, bedarf es zusätzlicher forstpraxisbezogene Aufklärungsarbeit im Sinne des Erkennens und Schutzes dieses Erbes. Diese ist in die Organisationsstruktur und -kultur der Forstpolitik zu integrieren. Grundlage dafür muss eine Inventarisierung des physischen Waldkulturerbes sein.
Eine zentrale Herausforderung besteht in den fehlenden rechtlichen Vorgaben zur Beachtung des kulturellen Erbes in Wäldern. Das aktuelle Bundeswaldgesetz beachtet weder seine Anerkennung noch seinen Erhalt. Mit der Neufassung des Bundeswaldgesetzes besteht jedoch die Möglichkeit, Synergien beim Schutz des kulturellen Erbes und zukunftsorientierter Anwendung von historischen Waldbewirtschaftungsformen zu berücksichtigen, die in positivem Sinne zur Klimaanpassung beitragen können. Grundlage hierfür soll die umfassend nachhaltige Waldwirtschaft sein.
Angesichts der beschleunigten Klima- und Biodiversitätskrise ist es daher dringend erforderlich, im kommenden Bundeswaldgesetz dem kulturellen Erbe Rechnung zu tragen und somit einen Beitrag zu einer nachhaltigen Landschaftsentwicklung zu leisten. Die Zeit drängt.
Dieses Positionspapier wurde unter Mitwirkung von diesen Autorinnen und Autoren erstellt: Dr. Jörn Schultheiß (Hochschule Geisenheim), Prof. Dr. David Vollmuth (Hochschule Neubrandenburg), Prof. Dr. Werner Konold (em. Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Prof. Dr. Bernd Reuter (em. Martin-Luther-Universität Universität Halle-Wittenberg), Dr. Markus Herbener (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Prof. Dr. Uwe Eduard Schmidt (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Fabia Spörckmann (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg), Dr. Marianne Tabaczek (BHU) und Jonas Brandl (SDW).
Hinweis: Der Bund Heimat und Umwelt in Deutschland (BHU) und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald Bundesverband e. V. (SDW) haben gemeinsam und mit ihren jeweiligen Fachgremien, Mitgliedern und Organen die Stellungnahme im Dezember 2023 erarbeitet und abgestimmt.
Kontakt BHU:
E-Mail: marianne.tabaczek@bhu.de, Tel: 0228 76750010, www.bhu.de
Kontakt SDW:
E-Mail: jonas.brandl@sdw.de, Tel: 0228 9459830, www.sdw.de
1 Vgl. Wissenschaftlicher Beirat für Waldpolitik (2021), Die Anpassung von Wäldern und Waldwirtschaft an den Klimawandel, S. 45.